Moral als Kapital in antiken Gesellschaften

Moral als Kapital in antiken Gesellschaften

Organisatoren
Elke Hartmann/Sven Page/Anabelle Thurn, Darmstadt
Ort
Darmstadt
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.04.2014 - 11.04.2014
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Von
Christian Weigel, Alte Geschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Ökonomische Theorien und Terminologie zur Beschreibung und Erfassung historischer Phänomene anwendbar zu machen, ist seit der inzwischen auch nicht mehr ganz so ‚Neuen Institutionenökonomik‘ fest in der Altertumswissenschaft verankert. Die von Elke Hartmann, Sven Page und Anabelle Thurn veranstaltete Darmstädter Tagung ‚Moral als Kapital in antiken Gesellschaften‘ bemühte sich dabei um den Brückenschlag zwischen der auch innerhalb der Institutionenökonomik meist eher diffus bleibenden Moral einer konkreten Gesellschaft und dem vornehmlich seit Bourdieu in der Soziologie so prominent gewordenen Kapitalbegriff.

ELKE HARTMANN (Darmstadt) eröffnete die Tagung und führte in die leitende Thematik der ‚Moral als Kapital‘ ein. „Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er.“, zitierte sie den Hauptmann, der dies im – in Darmstadt spielenden – Stück Georg Büchners zu Woyzeck sagt. Sie verwies damit auf die Problematik eines völlig internalisierten und daher nur bedingt in den Quellen definierten Systems, das man als Historiker nun mit gehörigem Abstand zum Sprechen bringen möchte. Bewusstmachen müsse man sich aber den Unterschied zwischen der modernen Praxis einer eher privaten Moral und den antiken Vorstellungen, in denen private und öffentliche bzw. politische Personen in ihrem moralischen Handeln viel stärker zusammenfielen.

Den Bereich des moralischen Werturteils betrat im Abendvortrag JAN MEISTER (Berlin). Er verwies auf das unter anderem in Ciceros Briefen zu fassende große Interesse der römischen Oberschicht an Klatsch und Tratsch und setzte sich im Verlauf des Vortrags vor allem mit der Bedeutung der fama auseinander. Klatsch definierte er dabei systemtheoretisch als die moralische Bewertung Abwesender durch Anwesende. Allerdings umfasste die fama nicht nur den Bereich, den man heute wohl unter Boulevardpresse fassen würde. Aufgrund der Abwesenheit von Massenmedien und zeitgleicher Fernkommunikationsmittel war die in Briefen ausgetauschte fama über z.B. (lokal-) politische Ereignisse ein wichtiger Bestandteil des Tagesgeschäfts von Senatoren wie Cicero. Von vertrauensvollen Briefbekanntschaften erhielt man Informationen, die einerseits selbst fama waren, andererseits auf anderem Weg erhaltene Informationen abzusichern halfen. Der vorhandene Ruf eines Gesprächsobjekts half dabei, neue Informationen auf ihre Plausibilität hin einzusortieren: Ein stadtbekannter Schürzenjäger (ob zu Unrecht so bezeichnet oder nicht) wird leichter das Ziel weiterer diesbezüglicher Geschichten geworden sein als sein mit der fama der Abstinenz umgebener Standesgenosse. Für die Oberschicht war daher das Ziel, ihre sich verselbstständigende fama so gut wie möglich zu beeinflussen.

JOHANNES GEISTHARDT (Konstanz) legte den Fokus auf die dignitas der senatorischen Schicht. Am Beispiel der bei Plinius und Tacitus fassbaren rückwirkenden Bewertung des Verhaltens einzelner Senatoren unter dem ‚Tyrannen‘ Domitian zeigte er auf, dass die senatorische dignitas als evaluierbares und akkumulierbares Gut verstanden werden kann. Nach dem Regimewechsel zu Nerva wurde eine Art Bilanz über Gewinner und Verlierer gezogen, wobei anhand von Positiv- und Negativbeispielen Möglichkeiten für würdiges Verhalten auch unter schlechten principes aufgezeigt wurden. Die Texte von Plinius und Tacitus lassen sich somit als Diskurs zur senatorischen Binnenhierarchisierung über den Grad der Nähe und Opposition zum ‚Tyrannen‘ verstehen und vermitteln gleichzeitig integrative Kraft für die ‚Überlebenden‘ des Regimes. Die von Sven Page (Darmstadt) geleitete, lebhafte Diskussion zum Vortrag griff diesen Gedanken auf und betonte unter anderem die Zeitlosigkeit solcher Strategien, die auch für die Aufarbeitung moderner Diktaturen eingesetzt wurden und werden; dabei reicht die Bandbreite von Scham über Selbstrechtfertigung bis zur Glorifizierung der eigenen Oppositionsrolle. Diskutiert wurde, inwieweit sich daraus nach dem Regimewechsel moralisches Kapital schlagen ließ und ob regelrechte Moralkarrieren möglich waren.

Daran inhaltlich anschließend sprach SIMONE BLOCHMANN (Tübingen) über die Majestätsprozesse und den Zusammenhang mit Moraldiskursen innerhalb der Aristokratie. Insbesondere, dass Beschuldigte zum Schutz der eigenen Familie den Selbstmord als Ausweg wählten, wurde von späteren Kommentatoren zwar als ehrenhaft angesehen, dem Gemeinwohl der res publica aber als wenig nützlich. Teils kommentieren die Quellen den Selbstmord auch als sinnlosen Tod, der jedenfalls nicht als vorbildhaftes moralisches Verhalten für Standesgenossen in schwierigen Zeiten des Systems dienen könne. Da die Zeiten um sich greifender Majestätsprozesse von den späteren Autoren in ihren Auswirkungen als bürgerkriegsähnlich beschrieben werden, ist die Häufung der Prozesse und ihrer Opfer auch ein Gradmesser für die Moralität der Herrschaft eines princeps.

Den Einsatz von Milde (clementia) zur Mehrung politischen Kapitals untersuchte THOMAS BAIER (Würzburg). Am Beispiel Cäsars und seiner ‚Gnade von Corfinium‘ machte er deutlich, dass Milde nur in einem Verhältnis von Über- und Unterordnung denkbar ist. In einem Konkurrenzsystem prinzipiell rechtsgleicher Aristokraten innerhalb der res publica kommt Milde somit einem Rechtsbruch des Mächtigeren gleich. Besonders in Senecas an Nero gerichteter theoretischer Schrift De clementia wurde die Unterscheidung zwischen der willkürlichen Milde des Tyrannen und der am Wohl des Staates orientierten ehrenhaften Milde des tugendhaften Herrschers diskutiert. Weiterhin wurde im Vortrag die Frage aufgeworfen, ob sich im Wandel des clementia-Diskurses der Verlust der Leistungsfähigkeit des auf Reziprozität aufgebauten Systems der Republik spiegelt.

ISABELLE KÜNZER (Bonn) beschäftigte sich mit dem Bereich des otium der senatorischen Oberschicht. Am Beispiel von Plinius dem Jüngeren verstand sie die Senatoren im bourdieuschen Sinne als soziale Referenzgruppe und gleichzeitig Konkurrenzgesellschaft, die eine Akkumulation symbolischen Kapitals auch in der Zeit der ‚Muße‘ anstrebt. Sofern die Zeit für diese Muße denn überhaupt schon erreicht war, also ausreichend Lebenszeit per negotium für Rom investiert worden war. Der Kriterienkatalog, nach dem otium sinnvollerweise verbracht werden musste, um status- und kapitalwirksam werden zu können, wandelte sich dabei auch danach, welchen Herrscher man sich als Vorbild aussuchte. Ob ein Senator sich seine Angst vor einem Ansehensverlust nach dem Ende seiner Ämterlaufbahn durch die Ausübung angemessener senatorischer Hobbys ersparen konnte, war eine weitere Frage des Vortrags. Die Diskussion richtete sich vorwiegend darauf, wie die Lesersoziologie der Schriften des Plinius wohl zusammengesetzt war und inwiefern die plinianische Konstruktion der Abfolge des negotium und otium Repräsentativität für die römische Realgesellschaft beanspruchen kann.

Dem Thema Vertrauen und Moral widmete sich JAN TIMMER (Bonn). Versteht man die römische Republik als nicht formalisiertes Verhandlungssystem, das aufgrund des Ziels der Einmütigkeit mit hohen Transaktionskosten aufwartete, stellte Vertrauen eine Form der Stabilisierung dar. Netzwerke, deren Mitglieder einander vertrauen, werden effizienter Informationen austauschen und können besser mit dem zeitlich verschobenen Austausch von Gabe und Gegengabe umgehen und die Risikoabwägung seitens des Vertrauensgebers fällt häufiger zugunsten des -nehmers aus. Immer vorausgesetzt, das Vertrauen wurde nicht bereits verspielt, wodurch es überproportionaler Anstrengungen zur Wiederherstellung bedarf. Die moralische Aufladung von Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit half dabei, das gewünschte Verhalten schon in die aristokratische Sozialisierung zu integrieren. In Kommunikationsprozessen wurde dies über Formen der Höflichkeit und des Takts sichtbar. Die weiterhin prekäre Situation des Vertrauenden im Hinblick auf einen Bruch des Vertrauens wird aber zum Beispiel an der Kommunikation zwischen Cicero und Appius Claudius deutlich, zu der zusätzlich Ciceros Briefe an Atticus zählen, in denen er die Vertrauenswürdigkeit von Appius Claudius abprüfte. Auch wenn Vertrauen somit für das Funktionieren des Systems unerlässlich war, hatte es Grenzen, die auch die moralische Aufladung nicht überwinden konnte oder sogar selbst setzte. Die von Anabelle Thurn (Darmstadt) geleitete Diskussion beschäftigte sich im Anschluss unter anderem mit dem Wandel des Vertrauens in der Überleitung zum Prinzipat, in der das personale Vertrauen einen väterlichen Anstrich erhielt und sich eine starke Misstrauenskultur innerhalb der Oberschicht etablierte.

CHRISTIAN ROLLINGER (Trier/Mainz) zielte auf die Unterscheidung zwischen straf- und zivilrechtlichen Prozessen ab und führte im ersten Teil des Vortrags vor allem Herkunft und Entwicklung der iudicia bonae fidei vor. Die Folgen, die eine solche zivilrechtliche Verurteilung für Mitglieder der Oberschicht haben konnte, wurden an den Beispielen der Infamierung und der Exklusion dargestellt. Denkt man die römische Oberschicht als ein auf Reziprozität basierendes soziales Netzwerk, so ist die amicitia die spezifische Denk- und Handlungskategorie. Die Summe der Beziehungen stellte dann das soziale Kapital dar, das z.B. von einem Senator aktiviert werden konnte. Durch eine zivilrechtliche Verurteilung stand der Ruf als vir bonus infrage und der Zugriff auf das soziale Kapital ging verloren. Somit fehlte dem entsprechenden Senator die Patronage vor Gericht, finanzielle und wirtschaftliche Hilfe blieb aus und auch der Zugang zu (militärischen) Posten wurde erschwert. Ein ‚sozialer Tod‘ hatte in der Oberschicht Roms somit sehr konkrete Auswirkungen. In der Diskussion wurde anschließend der Begriff der sozialen Netzwerkanalyse und ihrer Anwendung auf die in spätrepublikanischer Zeit handelnden Personen aufgegriffen.

DARJA STERBENC ERKER (Berlin) betonte den Wert sexueller Moral für die politische Stabilität Roms. Die sexuelle Invektive als rhetorisches Mittel griff dabei häufig auch die familia des Gegners an und dabei auf den Topos der weiblichen Neigung zum Luxus zurück. Das Verschwinden der römischen virtus zugunsten einer als unrömisch verstandenen luxuria wurde so zum gleichzeitig kulturpessimistischen Kommentar und Angriff auf die Moralität des Gegners und sollte damit seinen Zugriff auf verschiedene Kapitalformen erschweren. Das spätere Verbot solcher Schmähschriften und die Verbannung ihrer Autoren wurde von Seneca als Zensur durch den Princeps bezeichnet, gleichzeitig rügte er aber den moralischen Verfall der neuen Rhetorengeneration.

Einen Blick auf die stadtrömische plebs warf KATJA KRÖSS (Bayreuth/München). In den zeitgeschichtlichen Büchern des Cassius Dio tritt die plebs gehäuft und geradezu als moralische Autorität auf und hat damit eine deutlich andere (literarische) Rolle als in seinen Büchern, die sich mit der römischen Geschichte vor den zeitgenössischen Ereignissen befassen, in denen die plebs eher mit dem Begriff Pöbel und vielen seiner mitgedachten Konnotationen bezeichnet werden könnte. Die plebs, die Cassius Dio in seinen Büchern über die ‚schlechten‘ Kaiser von Commodus über Caracalla bis Elagabal skizziert, dient dagegen eher als moralischer Kompass der aus Selbstschutz wohl teils ohne Orientierung lebenden Oberschichtmitglieder. Somit ist es bei Cassius Dio das römische Volk, das dem Leser das moralisch richtige Verhalten in einer bestimmten Situation aufzeigte, die Amoralität der Kaiser und ihrer Cliquen herausstellte und somit zeitlose römische Werte vermittelte. Inwieweit diese Beschreibungen lediglich im Einzelfall historisch sind oder eher eine Form anonymisierter Kritik am Kaiser durch Senatorenkreise darstellte, war Teil der lebhaften Diskussion zum Beitrag. So wurde gefragt, wie homogen ‚die‘ plebs selbst im stadtrömischen Bereich gewesen sein konnte, inwieweit eine Manipulation durch Demagogen stattgefunden hat oder die Lautstärke oder Stille der plebs z.B. während der Theateraufführungen ein Symptom für unterschwellige Krisen darstellte.

Ins klassische Athen blickte THOMAS GÄRTNER (Köln) zur Eröffnung des letzten Tages. An Beispielen aus dem Werk des Thukydides über den Peloponnesischen Krieg zeigte sich die Übertragung des sophistischen (Natur-) Rechts des Stärkeren auf die Ebene der Interpolisbeziehungen. In Anwendung der später in der Rhetorik des Aristoteles zu nachhaltiger Wirkung gekommenen Redeformen scheint Thukydides den Athenern eine Entwicklung der moralischen Kategorien (und Rechtfertigungsnotwendigkeiten) attestiert zu haben: Zu Beginn wird noch auf die historische Genese der athenischen Macht Bezug genommen und die Wahrung des Besitzes der Vorväter als Berechtigung des Stärkeren zum Krieg gesehen, im Melierdialog zeigt sich dagegen offene imperialistische Expansion. Die Euphemosrede an die Kamariner wiederum kannte ebenfalls das Recht des Stärkeren, tarnte dies aber hinter den Absichten der Schutz- und Befreiungsmacht. Inwieweit Thukydides hier eine Entwicklung des außenpolitischen Moraldiskurses der Athener konstruierte oder tatsächlich der existenzielle Krieg den Katalysator des Wandels von moralischen Begründungsmodellen für Athen mimte, war ein Thema der von Elke Hartmann (Darmstadt) geleiteten Diskussion.

Die Anklänge zur aristotelischen ‚Rhetorik‘ vertiefte KAREN PIEPENBRINK (Gießen), die sich mit der Werteorientierung des Rhetors und seiner Rede in hellenistischer Zeit befasste. Dabei stand der Vergleich der aristotelischen ‚Rhetorik‘ und ihres Abstraktionsniveaus mit der Praxis im Athen des vierten Jahrhunderts im Mittelpunkt. Gemeinsamkeiten der theoretischen Konzeption mit vor allem den Gerichtsrednern fanden sich im Bezugsrahmen des guten und moralisch integren Polisbürgers. So speiste sich die Glaubwürdigkeit einer zu vertretenden Sache vor Gericht nicht nur aus den angeführten Zeugen oder dem Vorgefallenen selbst, sondern auch aus der Wertorientierung des Redners sowohl in rhetorischer als auch in persönlicher Hinsicht. Ein Redner, der selbst dem Ideal des Polisbürgers entsprach, konnte das Publikum eher mit moralischen Argumenten überzeugen als ein im stetigen Verdacht der Vertretung von Partikularinteressen stehender professioneller Sophist. Die angeregte Diskussion im Anschluss drehte sich darum, inwieweit hier eine partielle Verschiebung der moralischen Kategorisierung vom fünften in das vierte Jahrhundert v. Chr. in Athen zu beobachten ist. Den nach aristotelischen Maßstäben moralfreien Konstruktionsreden des Thukydides stehen die moralisch aufgeladenen Redekunstmodelle des vierten Jahrhunderts gegenüber.

Mit RAFAŁ MATUSZEWSKI (Heidelberg) wechselte der Fokus innerhalb des spätklassischen Athen zu den ‚niedrigen‘ Unterhaltungsformen, dem Weingenuss in Eckkneipen und der moralischen Kategorisierung des anthropologisch verankerten Spieltriebs. Wie jemand seine Freizeit gestaltete, scheint auch in der athenischen Gesellschaft ein gerne genutzter Anlass für moralische Werturteile gewesen zu sein. Vasenbilder von Kriegern beim Brettspiel unterstützen aber keine Abwertung des Spieltriebs an sich, dies scheint erst mit dem Aufkommen der Geldwirtschaft vollzogen worden zu sein. Dies gilt auch für den Wandel hin zu einer Oberschichtliteratur, die Spiel und Alkoholgenuss ins Private verbannte und Orte und Personen moralisch abwertete, die daran in der Öffentlichkeit teilhatten oder sogar ihren Lebensunterhalt damit verdienten.

KORNELIA KRESSIRER (Würzburg) stellte die Frage, inwieweit die Versorgung und Ehrung der alten Generation ein moralisch wertvolles Gut in der griechischen Antike darstellte. Dabei bezog sie sich vor allem auf die große Menge an tradierten Normen in literarischer und lyrischer Form aber auch auf konkrete Gesetze der Poleis. Die den nachfolgenden Generationen auferlegten Pflichten gegenüber den Alten scheinen somit göttlicherseits, aber auch durch die Polisgemeinschaft selbst verankert. Die kontroverse Diskussion im Anschluss hakte dort allerdings ein und fragte, inwieweit die Vielzahl an Zeugnissen nicht gerade ein Hinweis auf Dysfunktionen sei. Auch die zeitliche Streuung der Zeugnisse könnte ein Zeichen dafür sein, dass das Problem gesellschaftlich zwar erkannt, aber eben auch mit vielerlei Arten von Normen nicht gelöst werden konnte. Gründe liegen sicherlich auch im griechischen Erbrecht begründet, bei dem der Hof inter vivos an den ältesten Sohn weitergeben wurde, der Vater und frühere Haushaltsvorstand somit noch zu Lebzeiten die zentrale Rolle als Familienernährer einbüßte. Der pater familias der römischen Familie scheint – unter anderem Erbrecht lebend – meist keine Schwierigkeiten mit einer prekären Situation im Alter gehabt zu haben.

Die Moralvorstellungen antiker Gesellschaften vor allem unter dem Aspekt des Erwerbs oder Verlusts sozialer Ressourcen in den Blick zu nehmen erwies sich als fruchtbarer Ansatz. Dass Moral und moralische Argumente die Kapitalwirksamkeit sozialen Handelns von Athen bis Rom stark beeinflussten, zeigten die Beiträge in überzeugender Form. Bemerkenswert waren die intensiven und teils auch kontroversen Diskussionen, die weiterführende Fragestellungen hinsichtlich der Rahmenbedingungen regelrechter Moralkonjunkturen antiker aber auch moderner Gesellschaften aufzeigten.

Konferenzübersicht:

Elke Hartmann (Darmstadt), Eröffnung und Einführung

Jan Meister (Berlin), Gerüchte, Klatsch und infamia im spätrepublikanischen und frühkaiserzeitlichen Rom

Johannes Geisthardt (Konstanz), Die senatorische Elite nach dem Tyrannen. Moralische Integrität als Legitimation der soziopolitischen Stellung?

Simone Blochmann (Tübingen), „Mit entblößter Brust in gezückte Schwerter“. Majestätsprozesse und aristokratische Moral in der frühen Kaiserzeit

Thomas Baier (Würzburg), clementia als politisches Kapital

Isabelle Künzer (Bonn), otio prodimur. Zur Bewertung und Sanktionierung des otium durch die Senatorenschaft am Übergang vom 1. zum 2. Jahrhundert n. Chr.

Jan Timmer (Bonn), Vertrauen und Moral in der Gesellschaft der römischen Republik

Christian Rollinger (Trier/Mainz), oportet ex fi de bona. Moral als Kategorie der römischen Jurisprudenz

Darja Sterbenc Erker (Berlin), Sexuelle Moral als Kapital in der römischen Literatur

Katja Kröss (Bayreuth/München), Moralische Stütze und moralisches Korrektiv. Die stadtrömische plebs in den zeitgeschichtlichen Büchern Cassius Dios

Thomas Gärtner (Köln), Reden wider die Moral bei Thukydides

Karen Piepenbrink (Gießen), ‚Wertorientierung‘ als rhetorisches Beweismittel. Die ‚Rhetorik‘ des Aristoteles und die soziale Praxis im Athen des 4. Jahrhunderts v. Chr. im Vergleich

Rafał Matuszewski (Heidelberg), Agenneis Diatribai. Zu ‚niedrigen‘ Unterhaltungsformen der athenischen Bürger in spätklassischer Zeit

Kornelia Kressirer (Würzburg), Die Forderung nach Versorgung und Ehrung der Alten als wertvolles Gut in der griechischen Antike